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Wie frei können Forschung und Lehre an deutschen Hochschulen ausgeübt werden – so die Fragestellung der Studie "Akademische Redefreiheit" des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), finanziert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Es handelt sich um die erste repräsentative Studie zum Stand der akademischen Redefreiheit an deutschen Hochschulen. Befragt wurden Hochschulbeschäftigte der Statusgruppen DoktorandInnen, PostdoktorandInnen und ProfessorInnen. Die Studie fragt ab, welche Erfahrungen die Befragten mit Einschränkungen ihrer Freiheit in Forschung und Lehre oder der Freiheit anderer in ihrem akademischen Umfeld gemacht haben bzw. ob sie solche Einschränkungen erwarten, wenn sie selbst oder andere ihre wissenschaftliche Arbeit nach ihren Vorstellungen gestalten. Die Studie erfragt außerdem, welche Grenzen WissenschaftlerInnen selbst ziehen und welchen Umgang mit Streitfällen und kontroversen Themen sie für angemessen halten. Über 9.000 Personen mit Professur, Postdocs und Promovierende wurden nach ihrer Einschätzung der akademischen Freiheit und ihren Erlebnissen mit Einschränkungen befragt. Nun wurden erste Ergebnisse und ein Kurzbericht veröffentlicht.
Zum Hintergrund: In den vergangenen Jahren ist der öffentliche Diskurs um Wissenschaftsfreiheit stark von einzelnen öffentlichkeitswirksamen Streitfällen sowie von Impulsen aus dem US-amerikanischen Kontext bestimmt gewesen. Dies schließt die Debatte um eine sogenannte „Cancel Culture“ ein. Sie geht von – sich möglicherweise häufenden oder systematisch stattfindenden – Einschränkungen oder Ausschlüssen bestimmter, als politisch oder moralisch problematisch empfundener Positionen aus dem wissenschaftlichen Diskurs aus. Seit einiger Zeit wird die Cancel-Culture-Debatte in Gesellschaft und Wissenschaft – und in besonderer Weise auch in den Medien – teils sehr emotional und politisch aufgeladen geführt.
Die AutorInnen des Kurzreports im Fazit: "In der Gesamtschau macht unsere repräsentative Befragung zwei Dinge deutlich: Einerseits sind Einschränkungen der akademischen Redefreiheit kein flächendeckendes Phänomen an deutschen Hochschulen. Die große Mehrheit der Wissenschaftler:innen erwartet keine Einschränkungen in ihrer Forschungs- und Lehrpraxis, hat diese auch noch nicht erfahren und kommt demzufolge wenig überraschend zu einer positiven Einschätzung der Autonomie und Freiheit im deutschen Wissenschaftssystem. Andererseits zeigt unsere Studie auch, dass erfahrene bzw. selbst vorgenommene Einschränkungen der akademischen Redefreiheit nicht nur auf Einzelfälle beschränkt sind. Sicherlich ist mehr Forschung sinnvoll, um z. B. Ausmaß oder Dynamik dieser Phänomene genauer zu untersuchen.
Unsere Befunde zeigen außerdem, wie vielschichtig und komplex Einschränkungen akademischer Redefreiheit sind. Sie reichen von als unangemessen wahrgenommener inhaltlicher Kritik zu moralischer Diskreditierung bis hin zu beruflichen Problemen. Diese Einschränkungen können nicht nur erwartet werden oder bereits erfahren worden sein, sie können auch Auswirkungen auf die konkrete Forschungs- und Lehrpraxis haben. Nicht zuletzt wird deutlich, dass Einschränkungen akademischer Redefreiheit auf der einen Seite über alle Gruppen hinweg berichtet werden, auf der anderen Seite je nach Status- und Fächergruppe sowie Geschlecht teils deutliche Unterschiede aufweisen."